Der Begriff Akademie stammt aus der Antike und meint das Zusammenfließen von wissenschaftlicher und künstlerischer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Insofern scheint uns der Begriff auch für den Kontext von Psychotherapieausbildung geeignet zu sein als Symbol für die Schnittmenge aus a) empirischer Wissenschaft, b) Persönlichkeitsentwicklung des Therapeuten im Hinblick darauf, dass er als Person wesentlicher Teil des psychotherapeutischen Handwerkszeugs darstellt und c) kreativem, intuitivem Prozess mit Kind, Eltern und Familie,.Das Ausbildungscurriculum der AKJP bildet den Anspruch ab, offen und neugierig für Verbindungen, Ergänzungen und Vertiefungen mit anderen Ansätzen im Sinne des oben skizzierten vielschichtigen Veränderungsprozesses in der Psychotherapie zu sein .
Erkenntnistheoretische Grundlagen
In den modernen Wissenschaften muss man spätestens seit den Entdeckungen der Quantenmechanik mit dem Verlust letzter Sicherheiten zurecht kommen. Die Welt kann nicht mehr als logisch arbeitendes Uhrwerk, in dem jede Wirkung genau eine Ursache hat, hinreichend beschrieben werden. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Und ein beobachtetes Objekt verhält sich nicht objektiv, es ist als Phänomen abhängig von seinem Beobachter. Widersprüche lassen sich nicht alle auflösen. Es entspricht häufig einem Erkenntnisgewinn, wenn die konfligierenden Modelle in ihrer Unvollkommenheit nebeneinander stehen gelassen und in einem dialektischen Prozess zur Synthese verbunden werden. Insbesondere komplexe Prozesse der Natur lassen sich nicht mehr mit eindeutigen Modellen beschreiben. Niels Bohr erfand dafür den Begriff des „Komplementaritätsprinzips“, nachdem 2 gegensätzliche Eigenschaften in ein und demselben Körper anwesend sein können. Licht ist sowohl Welle als auch Teilchen, je nachdem, unter welchen Bedingungen man es betrachtet. Beobachtungen gelten immer nur für die Situation, in der man sie macht. Carl Friedrich von Weizsäcker nannte das den „Nebel der Erkenntnis“. Heisenberg führte den Begriff der „Unschärferelation“ ein, nachdem jeder Akt der Beobachtung das Objekt in seinem Verhalten stört. So erhalten Lichtkörper ihre Schwingungsrichtung erst, wenn sie gemessen werden. Wir verzerren also unsere Welt, ein Ausschalten der eigenen Gegenwart ist unmöglich.
Konsequenzen für die Praxis
Für die Praxis der Psychotherapie und damit auch für die Ausbildung in Psychotherapie müssen wir deshalb immer wieder bescheiden sein mit unseren „sicher geglaubten“ Erkenntnissen. Rezepthafte mechanistische, einfache Ursache-Wirkungs Zusammenhänge greifen zu kurz. In unserem Verständnis ist Psychotherapie mit Kindern und Familien ein multidimensionaler Problemlöseprozess auf unterschiedlichen Ebenen, der die Beachtung einer Systemorientierung, einer Entwicklungsorientierung, einer Zielorientierung und einer Ressourcenorientierung beinhaltet. Die Gestaltung des Therapieprozesses ist dergestalt, dass die individuellen Besonderheiten von Kind und Familie in diesem Prozess wahrgenommen, aufgehoben und gewertschätzt werden. Insbesondere gehört dazu eine Suchhaltung für die Konstruktion funktionaler Zusammenhänge. Dazu gehört auch die Bereitschaft, intuitive Suchprozesse und Entscheidungsoptionen zuzulassen. Problemlösungen im Rahmen psychotherapeutischer Prozesse beinhalten eine Klientenzentrierung, die wertschätzend und einfühlsam mit dem Klienten und den Familienmitgliedern umgeht. Hilfreich ist eine konstruktivistische Suchhaltung nach unterschiedlichen Bedingungsvariablen, Perspektiven, funktionalen Zusammenhängen für die Hypothesengenerierung im therapeutischen Prozess. Hypothesen sind nichts statisch Strukturelles, sondern Teil eines immer wieder mit der Familie und mit dem Klienten zu überprüfenden und zu verändernden Zwischenergebnisses.
Psychotherapieausbildung mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie
In der PT Ausbildung wollen wir den jungen Kolleginnen und Kollegen einen breiten Einblick in die Entwicklung der verschiedenen wissenschaftlichen Psychotherapieschulen geben. Die Grundlagenentwicklung der Verhaltenstherapie, der psychodynamischen Verfahren, der Gesprächstherapie und weiterer Sozialpsychologischer Ansätze, die Familie und Umwelt als wesentliche Kontexte von Therapie mit einbeziehen, sind unsere Grundlage. Die Überlegungen von Klaus Grawe zur Entwicklung einer allgemeinen Psychotherapie können hierfür einen hilfreichen, heuristischen Rahmen darstellen. Viele theoretische und praktischen Ansätze gehören heute zur Verhaltenstherapie: Verhaltensmodifikation, Selbstmanagementansätze, rational-emotive Therapie, multimodale Therapie oder Breitbandverhaltenstherapie, kognitiv-behaviorale Familientherapie, interpersonelle und interaktionelle Verhaltenstherapie, dialektisch-behaviorale Therapie, Verhaltensmedizin und Biofeedback, Schematherapie, EMDR sowie viele störungsspezifische Ansätze. Gemeinsam ist diesen Ansätzen die empirische Fundierung, das Transparenzgebot, das hypothesengeleitete zielgerichtete Arbeiten mit der Suche nach den je relevanten Bedingungsfaktoren unter Einschluß biopysiologischer und gesellschaftlich systemischer Faktoren, der Bezug auf das Problem im „Hier und Jetzt“ und soweit notwendig auch die Einbeziehung überdauernder kognitiv-emotionaler Schemata aus dem lebensgeschichtlichen Kontext. Genutzt wird diese Therapierichtung in der Praxis als eine methodenoffene Konzeption, die offen ist für Neu- und Weiterentwicklung. Ihre allgemeinen Kennzeichen sind neben der guten wissenschaftlichen Fundierung, die große Anwendungsbreite, ihre transparente Therapiegestaltung, die enge Anbindung an den biopsychosozialen Krankheitsbegriff (Körper und Geist sind Phänomene einer Wirklichkeit) und das breite Spektrum an Methoden sowie den emanzipatorischen Ansatz „professionelle Hilfe zur Selbsthilfe“. Wir sind uns in unserer Arbeit bewust, das wir immer wieder offen sein müssen für neue Entwicklungen und Veränderungen in der praktischen therapeutischen Arbeit. Das führt uns dazu gesprächstherapeutische Elemente mit emotionsfocusierter Arbeit z. B. nach Greenberg oder Methoden der systemischen Familientherapie in die Arbeit zu integrieren, sofern sie Evidenzen aufweisen. Dies drückt sich auch in der Gestaltung der Didaktik in den Seminaren als aktivierende, erfahrungsbezogene Vermittlungs- und Lernprozesse aus.
Psychotherapieforschung für die Praxis
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und der Gegenstandskatalog fordern die Vermittlung einer evidenzbasierten Psychotherapie. Das ist für uns selbstverständlich. Die wesentlichen Metaanalysen zur Kinder- und Jungendlichenpsychotherapie werden in der Ausbildung vermittelt. Gleichzeitig ist es notwendig offen zu sein („Bescheidenheit“) und erlaubt, sich einer Integration von Einzelfaktoren, von Interventionen und Techniken für den Einzelfall zu nutze zu machen. Dies kann und soll zu einer persönlich überzeugenden Fallkonzeptualisierung beitragen (professionelle Identität), kann aber auf unterschiedlichen Wegen realisiert werden. Grawe fordert mit den allgemeinen Wirkfaktoren in der Psychotherapie die Abkehr in der PT Arbeit von der Konfession (vom Glauben) zur Profession (wissenschaftlich fundiert). Dieser Prozess der Fallkonzeptualisierung kann sich auch an persönlichen Passungsprozessen orientieren (welches Störungs-/Änderungs-/ Handlungs-/persönliches Modell passt hier/kann ich anbieten?) (z.B. ORLINSKY) zwischen Patient (Kind, Eltern, Familie, Umfeld) und dem Therapeuten. Eine solche Konzeption erfordert ein hohes Maß an professioneller Kompetenz und Selbstreflexion. Effektivität und Evidenz basiert demnach aus einem gelungenen Zusammenwirken:
Modell passungsbasierter Psychotherapie: Abstimmungssensibilität im
Zusammenspiel von Einflussbereichen zur Steigerung der Wirksamkeit
Ein weiteres Modell knüpft an die evidenzbasierte Psychotherapie an. Ein Bereich stellt die empirisch abgesicherten, evidenzbasierten Ergebnisse dar. Ein zweiter Bereich symbolisiert die Person des Patienten/Familie und dessen Ziele, Wünsche und Bedürfnisse. Ein dritter Bereich stellt den Psychotherapeuten mit seinen Personvariablen und mit seinem Fachwissen dar. Die drei Bereiche bedeuten unterschiedliche Perspektiven auf den Therapieprozess. Der Therapeut nimmt die unterschiedlichen Evidenzen zu einem Thema zur Kenntnis und setzt sie in Beziehung zu subjektiven Evidenzen aus der eigenen Erfahrung und der Wahrnehmung von Kind und Familie und leitet daraus konkrete Entscheidungen ab. In den Ausbildungstherapien übernimmt der Supervisor mit seinen subjektiven Evidenzen und Erfahrungen und seinem theoretischen Störungswissen hier noch eine Hilfsfunktion für die lernenden Therapeuten. Nicht die empirische Evidenz wird mechanisch auf den Einzelfall übertragen, sondern sie wird vom Therapeuten zur Kenntnis genommen und in Bezug gesetzt zur eigenen Evidenz, zur subjektiven Evidenz und zu den Zielen und Wünschen des Patienten/Familie. Das Modell von Hurrelmann aus der Medizinsoziologie: „Die Eltern sind Experten für das Kind und für die Familie“ und der Therapeut ist „Experte für die Problemlösung“ kann eine hilfreiche Perspektive für Eltern und Therapeuten sein. Nur wenn die „Experten“ ihr „Expertenwissen“ teilen gibt es eine Change auf fruchtbare Weiterentwicklung. Aus der Sicht der Selbstmanagement Therapie wird versucht, Psychotherapie als systemisch kontruktivistisches Handeln zu begreifen. Es geht nicht um die „Entdeckung“ der Wahrheit, sondern um die Konstruktion eines Bedingungsgefüges unter pragmatischen Aspekten: Hilft die Konstruktion, einen Veränderungsprozess zu gestalten und können Kind und Familien dabei ihren Zielen näher kommen.
Psychotherapie im gesellschaftlichen und politischen Kontext
Die gesetzlichen Vorgaben im Berufs- und Sozialrecht zur verantwortlichen Tätigkeit des Psychotherapeuten werden in der Ausbildung vermitttelt. Allerdings verhehlen wir nicht, dass wir mit dem historisch gewachsenen Konstrukt der Richtlinientherapie in Deutschland und die Aufteilung in anerkannte Verfahren, Methoden und Techniken unsere Probleme haben. Wir wünschen uns eine respektvolle Neugier und ein Interesse an einem Lernen voneinander. Eine solche Haltung ist hilfreich, um PT praxisnah und mit kreativer Subjektivität weiterzuentwickeln. Dann können die Lernenden in den vielschichtigen Problemen von Kind und Familie auch sehen, dass diese Probleme gleichzeitig Lösungsversuche für die jeweilige Situation darstellen, mit denen wir therapeutisch respektvoll umgehen können.
Psychotherapie im Praxiskontext
Im AKJP Curriculum versuchen wir mit den Lernenden im Einzelfall für Kind und Familie unterschiedliche Möglichkeiten und Wege auszuprobieren. Heuristischer Rahmen hierfür ist die in der Problem- und Resourcenanalyse entwickelte Fallkonzeptualisierung, die im täglichen therapeutischen Prozess ständig überprüft und angepasst wird. Zwar ist das Leben komplex, chaotisch und unvorhersehbar (Erkenntnistheoretischer Standpunkt). Trotzdem versuchen wir in der Therapie, Ziele, Hypothesen und Pläne zu entwickeln, die im Sinne von Problemlöseheuristiken in der therapeutischen Arbeit Orientierung geben. Wenn der autopoetische Prozess sich ganz anders entwickelt, müssen die Hypothesen der Wirklichkeit angepasst werden. Hypothesen über Funktionalitäten zu bilden heißt nicht, eine starre Sichtweise festzuschreiben, sondern diese Sichtweise immer wieder mit der Realität zu konfrontieren. Das kann auch im Einzelfall bedeuten, respektvoll und neugierig in Verbindung zu bringen, was sich in den Akzentuierungen und Fokussierungen der Therapieschulen nebeneinander entwickelt hat (Differentielle Indikation). Es wird auf die notwendige Reduktion der Komplexität in den Modellen eingegangen, so dass ihr Nutzen im Vordergrund steht. In diesem Psychotherapieverständnis suchen wir im Sinne der Hypothesenbildung nach funktionalen Zusammenhängen und betrachten auch deren Folgen für die Grundannahmen in einem therapeutischen Kontext. Dabei folgt dieses Verständnis der Annahme, dass Therapie erst hilfreich wird, wenn es gelingt einen positiven Ankoppelungsvorgang an das System zu gestalten (Beziehungsgestaltung).
Beziehungsgestaltung
Problemlösungen im Rahmen psychotherapeutischer Prozesse beinhalten eine Klientenzentrierung, die wertschätzend und einfühlsam mit dem Klienten und den Familienmitgliedern umgeht. Nur im Rahmen dieser wertschätzenden Interaktion kann der Balanceakt zwischen Kind und Eltern, zwischen Mutter und Vater, zwischen unterschiedlichen Generationen, zwischen unterschiedlichen Geschwistern geleistet werden. Verglichen mit dem Einzeltherapiesetting handelt es sich in der Kinderpsychotherapie um einen vielschichtigeren und komplexeren Prozess. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Beziehungskompetenz des Therapeuten unterstützt, gefördert und erlaubt wird, flexibel und persönlich in Beziehung zu treten. Es gilt, die Grundannahmen zur Konstruktion von Therapieprozessen incl. der Zuteilung von Rollen und Erwartungen günstig zu beeinflussen (Autopoiesie von Systemen). Dieser Prozess soll nahe und konkret am Patienten/Klienten und konkret bezogen auf Ziele bzw. das Erleben des Verlaufes stattfinden. Veränderung findet begünstigt von solcher Beisteuerung statt und kann je nach vertretenem Modell unterschiedliche erklärt und genannt werden: -durch Umlernen (Therapeut als Anleiter und Motivator), -durch neue Sichtweisen (Therapeut als Ko-Konstrukteur von Wirklichkeit), -durch neue Erlebnisse (Therapeut als Begleiter und menschliches Gegenüber).
Ausbildungskontext
Günstige Rahmenbedingungen für den Lehr- und Lernprozess werden im AKJP dadurch angestrebt, dass eine offene und forschende Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden gefördert wird. Unterschiedliche Therapeutenmodelle sollen gemeinsam mit der gegenseitigen Unterstützung der Lernenden eine vertrauensvolle Unterstützung bieten. Mastermodelle in der Gruppe, Ausprobieren von Therapeuten- und Klientenrolle, Üben und Trainieren von therapeutischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, exemplarische Problemlösungen von Fällen aus der Praxis mit Anregungen zur häufigen Reflexion der eigenen Arbeit sollen wertvolle Basis werden (begleitendes und interaktives Lehren). Professionelle Kompetenz wird im Laufe der Berufserfahrung immer mehr zu einer persönlichen Sensibilität, Erfahrung/Sicherheit und Flexibilität im Gestalten der therapeutischen Beziehung mit verschiedenen Methoden. Deshalb ist ein Ansatz, der von der Wirksamkeit verschiedener Möglichkeiten ausgeht und der die subjektive Kompetenz in der Entwicklung dieser übergreifenden Kompetenz fördert, angemessen. Die Ausbildung im AKJP bereitet insofern darauf vor, indem sie sowohl um Wissensvermittlung als auch um Erfahrungsmöglichkeiten bemüht ist. Sie gibt damit ausdrücklich eine Erlaubnis für eine persönliche Positionierung im Rahmen des Gesamtcurriculums und fördert Toleranz und Sensibilität. In einem Annäherungsprozess soll nach einer Phase des formalen Trainings, in der die Anleitungsfunktion im Vordergrund steht, je nach Stand der Kandidaten an ihre Stärken angeknüpft und zu eigenständigem Tun ermutigt werden. Annäherungsweise geht dies nur innerhalb des starren Curriclums, das die jeweilige Vorerfahrungen und Ressourcen nicht berücksichtigt und eines verständlichen Wunsches der Kandidaten nach Struktur und Anleitung. Sie sollen sich im vorgegebenen Rahmen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und des Gegenstandskataloges der Auswahlprozesses bewusst werden, so dass sie sich für bestimmte Möglichkeiten und Alternativen entscheiden und bei Misserfolgen ihren Ansatz durch die Eingliederung anderer Bestandteile der Theorie modifizieren und verbessern können (Unterstützung für ein gutes Gespür für Stärken und Schwächen und die Auseinandersetzung mit dem therapeutischen Selbstverständnis sowie das Selbstwirksamkeitserleben im Ausbildungsprozess).
Martin Brentrup
Josef Könning
Akademie für Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie GmbH
Bohmter Str. 1
49074 Osnabrück
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Telefon: 0541 20 22 79 1
Fax: 0541 20 22 79 6
Internet: www.kinderverhaltenstherapie.de
AKJP GmbH Martin Brentrup, Josef Könning 2008